Kategorie
Disziplinarrecht – Berufung
Normen:
EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
SG § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2, §§ 10, 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2, § 23 Abs. 1
StGB 1998 § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3
StPO § 170 Abs. 2, § 244 Abs. 2, § 257c Abs. 2 Satz 1 und 2, §§ 261, 267, § 302 Abs. 1 Satz 2
VorgV § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3
WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 7, §§ 62, 83 Abs. 1 Satz 1, § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 123 Satz 3
Leitsätze:
Wird ein Kindesmissbrauch erst nach Eintritt eines Soldaten in den Ruhestand bekannt, können die geringeren Auswirkungen des außerdienstlichen Dienstvergehens auf den Dienstbetrieb ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen.
Vorinstanz:
TDG Süd – S 8 VL 12/23
Urteil Vorinstanz:
Aberkennung des Ruhegehalts (Höchstmaßnahme)
Volltext:
BVerwG 2 WD 16.24 – Urteil vom 13. Februar 2025
Vorwurf / bindende Feststellungen des STrafurteils nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO:
„Die Geschädigte G. lernte den Angeklagten im Jahre 1997 kennen, als dieser mit seinen beiden Kindern, B. und C., und seiner Ehefrau Urlaub im Feriendorf in A. machte. Die damals zehnjährige Geschädigte, die mit ihren Eltern in A. wohnte, freundete sich mit den Kindern des Angeklagten an. Auch zwischen den Eltern der G. und dem Angeklagten entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. Hierbei kam es mit Zustimmung der Eltern der G., D. und E., zu mehreren Treffen der G. mit dem Angeklagten, wobei sie verschiedene Ausflüge, wie gemeinsame Schwimmbad- oder McDonald’s-Besuche unternahmen. An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Juli 1998 holte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt elfjährige Geschädigte um 12:00 Uhr von der Schule ab, da sie gemeinsam das …-Schwimmbad in I. besuchen wollten. Zuerst fuhren der Angeklagte und G. zu McDonald’s. Dann begaben sie sich in das Hotel …, … in J. Der Angeklagte bewohnte dort ein Zimmer. Der Angeklagte wollte sich dort umziehen und seine Badesachen holen. G. setzte sich auf das Bett, um im Fernsehen gegen 14:00 Uhr Hanni und Nanni zu schauen. Der Angeklagte legte sich zu der Geschädigten auf das Bett und entkleidete zunächst den Unterleib der Geschädigten und dann sich selbst. Der Angeklagte fasste die Geschädigte im Genitalbereich an und drang mit einem Finger vaginal in sie ein. Hierdurch erlitt die Geschädigte erhebliche Schmerzen. Ohne weiter über das Vorgefallene zu sprechen, zogen sich beide wieder an und besuchten das Schwimmbad. Als der Angeklagte wieder Kontakt aufnehmen wollte, teilte G. ihren Eltern mit, dass sie keinen Kontakt mehr zum Angeklagten haben wollte. Daraufhin kam es zu keinen weiteren Zusammentreffen der G. mit dem Angeklagten.
G. ist auch heute noch durch diesen Vorfall erheblich geschädigt. Nachdem das Erlebte bei ihr beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann K. wieder hochkam, hatte sie Probleme beim Vaginalverkehr. Dies stellt eine erhebliche und andauernde Belastung für die Ehe der Geschädigten dar.“
Verletzte Dienstpflichten:
Außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht, § 17 Abs. 2 S. 3 Alt. 2 SG
Regelmaßnahme (1. Stufe):
Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist in Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes durch einen Soldaten die Höchstmaßnahme, weil der Soldat dadurch im Grundsatz für die Bundeswehr untragbar wird. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Der Täter greift damit in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein. Er gefährdet die harmonische Entwicklung von dessen Gesamtpersönlichkeit und Einordnung in die Gemeinschaft, weil ein Kind wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann. Zugleich benutzt der Täter das Kind als „Mittel“ zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und verletzt dadurch dessen grundgesetzlich geschützte unantastbare Menschenwürde (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 21 m. w. N.). Da ein Soldat als Teil der staatlichen Gewalt die Würde des Menschen zu achten und zu schützen hat (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) und gerade Schwächere schützen und verteidigen soll, erschüttert er durch den sexuellen Missbrauch eines Kindes zutiefst das Vertrauen, das der Dienstherr in die Selbstbeherrschung, Zuverlässigkeit und moralische Integrität eines Soldaten setzt. Dies führt in der Regel zu einem endgültigen Vertrauensverlust seines Dienstherrn, so dass diesem bei objektiver Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2021 – 2 WD 18.20 – juris Rn. 16 m. w. N.). Dies gilt bereits beim einmaligen sexuellen Missbrauch eines Kindes (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 – 2 WD 11.20 – NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 52 m. w. N.), erst Recht bei einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, auch wenn insoweit eine weniger gravierende Fallkonstellation im Sinne des § 176a Abs. 3 StGB a. F. vorliegt (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 20 ff. m. w. N. und vom 25. Juni 2024 – 2 WD 15.23 – NVwZ-RR 2024, 966 Rn. 35).
Konkrete Maßnahme (2. Stufe):
Dienstgradherabsetzung vom Oberstleutnant a.D. zum Oberleutnant a.D.
Der Übergang von der Höchstmaßnahme zu der nach § 58 Abs. 2 Nr. 3 WDO nächstmilderen Maßnahmeart der Dienstgradherabsetzung (§ 62 WDO) ist deshalb geboten, weil die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens des früheren Soldaten, welches der Wehrdisziplinaranwaltschaft erst rund ein halbes Jahr nach seinem Eintritt in den Ruhestand bekannt wurde, im Vergleich zu Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs, die während der aktiven Dienstzeit eines Soldaten bekannt werden (dazu BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 58), für den Dienstherrn wesentlich geringer wiegen. So ist das Bekanntwerden einer solchen Tat im Fall eines noch aktiven Soldaten in hohem Maße geeignet, das innerdienstliche Achtungs- und Vertrauensverhältnis zu zerstören und damit den Dienstbetrieb und die Disziplin der Bundeswehr zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Januar 1991 - 2 WD 18.90 – BVerwGE 93, 30 <32> und vom 18. Juli 2001 – 2 WD 51.00 – juris Rn. 63 f.). Demgegenüber beschränken sich die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens für den Dienstherrn bei Bekanntwerden des Dienstvergehens nach Eintritt des Soldaten in den Ruhestand – so auch hier – darauf, dass er bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres nicht mehr zu Reservediensten herangezogen werden kann und dass das Ansehen der Bundeswehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Angesichts dessen wäre die Verhängung der Höchstmaßnahme wegen der geringen Auswirkungen auf die Schutzgüter des Wehrdisziplinarrechts im vorliegenden Fall unverhältnismäßig. Die Verhängung der Höchstmaßnahme ist auch nicht aus generalpräventiven Gründen erforderlich, weil auch eine empfindliche Dienstgradherabsetzung abschreckende Wirkung entfaltet.