BVerwG 2 WD 13.24 – Fernbleiben bei irrtümlicher Annahme einer Urlaubsbewilligung

Kategorie
Disziplinarrecht – Berufung

Normen:
WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 7, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 1 Satz 2, § 140
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
EMRK Art. 6
SG §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1, § 23 Abs. 1
StPO § 261
WStG § 15 Abs. 1
StGB § 16 Abs. 1 Satz 1 und 2

Leitsätze:
Bleibt ein Soldat fahrlässig unterlaubt dem Dienst fern, bildet ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

Vorinstanz:
TDG Süd 10. Kammer – 09.01.2024 – AZ: S 10 VL 24/23
Urteil Vorinstanz:
Freispruch

Volltext:
BVerwG 2 WD 15.24 – Urteil vom 23. Januar 2025

Vorwurf:
„Der Soldat blieb seinem Dienst beim Gesundheitsamt in D. im Rahmen der Unterstützungsleistung vom 15.06.2021 bis zum 21.06.2021 vorsätzlich, zumindest jedoch fahrlässig, ohne Genehmigung seines Disziplinarvorgesetzten schuldhaft fern und nahm in diesem Zeitraum auch nicht am Dienst der 2./…regiment …, …, teil, sondern hielt sich stattdessen ab 15.06.2021 im Urlaub in M./F. ohne Genehmigung seines Disziplinarvorgesetzten auf.“

Verletzte Dienstpflichten:
Pflicht zum treuen Dienen, § 7 SG
Innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht, § 17 Abs. 2 S. 1 SG

Anmerkung zur abweichenden Tatsachenfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichts:
Zur Überzeugung des 2. Wehrdienstsenats steht fest, dass der Soldat keinen Urlaubsantrag eingereicht hat. Für die Annahme des Gegenteils fehlt es an realen Anknüpfungspunkten. Zur Überzeugung des Senats steht des Weiteren fest, dass der Soldat lediglich aus Nachlässigkeit und Vergesslichkeit keinen Urlaubsantrag gestellt hat.

Ausführungen zum Vorsatz:
Der Soldat blieb dem Dienst jedoch nicht vorsätzlich unerlaubt fern, weil er irrtümlich angenommen hatte, sein Urlaubsantrag sei in Ermangelung einer negativen Rückmeldung genehmigt. Er unterlag damit einem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (analog), weil er nach seiner Vorstellung dem Dienst nicht im Sinne von § 15 Abs. 1 WStG „eigenmächtig“ fernblieb. Dass er den Umstand der fehlenden Genehmigung nicht erkannte, lässt zwar den Vorsatz entfallen (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1997 – 4 StR 557/97 – juris Rn. 10 (a. E.); Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 16 Rn. 11), begründet jedoch ein – nach § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB analog unberührt bleibendes – fahrlässiges Verhalten bezogen auf das unerlaubte Fernbleiben. Denn der Soldat hat durch die unterlassene Einreichung des Urlaubsantrags und durch die unterbliebene Erkundigung nach der Bewilligung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2003 – 2 WD 9.03 – BVerwGE 119, 164 <166>) objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen und die damit verbundene Rechtsgutverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen vorhersehen und vermeiden können (BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 – 2 WD 20.18 – Rn. 54, vom 11. Mai 2023 – 2 WD 12.22 – juris Rn. 65 und vom 17. Dezember 2024 – 2 WD 11.24 -; Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 15 Rn. 20).

Regelmaßnahme (1. Stufe):
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen in Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe bei einer kürzeren unerlaubten Abwesenheit grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung; bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt. Für die Fälle des fahrlässigen Fernbleibens vom Dienst hat der Senat bislang keine Regelmaßnahme als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen festgelegt. Er hat jedoch ausgesprochen, dass ein unerlaubt fahrlässiges Fernbleiben bei isolierter Betrachtung im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zwar keine nach außen sichtbare, dafür jedoch eine spürbare disziplinarische Pflichtenmahnung verlangt (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 ‌- 2 WD 43.09 – NZWehrr 2012, 122 <124>). Da das mehrtägige fahrlässige Fernbleiben vom Dienst im Unterschied zum eigenmächtigen Fernbleiben keine Wehrstraftat ist und einen wesentlich geringeren Unrechtsgehalt aufweist, entspricht es dem Gebot kohärenter Rechtsprechung in diesen Fällen nicht von einer Dienstgradherabsetzung auszugehen, sondern ein Beförderungsverbot zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu wählen.

Konkrete Maßnahme (2. Stufe):
Nach Maßgabe dessen ist hier ein einjähriges Beförderungsverbot (§ 58 Abs. 1 Nr. 2 WDO) als spürbare disziplinarische Pflichtenmahnung auszusprechen und wegen der fehlenden Auswirkung des Beförderungsverbots auf den weiteren dienstlichen Werdegang des 2027 aus dem Dienst scheidenden Soldaten nach § 58 Abs. 4 Satz 2 WDO mit einer Kürzung der Dienstbezüge im tenorierten Umfang zu verbinden.

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