Datum: 08.11.2012

Gericht: Oberlandesgericht Brandenburg

Entscheidungsart: Beschluss

Aktenzeichen: (2) 53 Ss 133/12 (62/12)

Vorinstanz: Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. April 2012

Leitsatz

Dass ein Soldat weiterläuft, dem befohlen wird, stehenzubleiben, stellt nur dann eine Gehorsamsverweigerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG dar, wenn ein über das schlichte Nichtbefolgen des Befehls hinausgehendes demonstratives Verweigerungsverhalten festzustellen ist.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. April 2012 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Die dazu getroffenen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat den Angeklagten am 3. April 2012 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 28. Februar 2012 wegen Gehorsamsverweigerung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 35 € verurteilt.

Nach den getroffenen Feststellungen war der Angeklagte seit seiner Beförderung im Februar 2004 Oberleutnant und im IV. Bataillon des Luftwaffenausbildungsregiments als Personaloffizier im Bataillonsstab eingesetzt. Er stellte am 12. Mai 2009 einen schriftlichen Urlaubsantrag, den er seinem Dienstvorgesetzten Oberstleutnant S. über die Postmappe zuleitete. Der Zeuge S. war zu diesem Zeitpunkt mit der dienstlichen Leistung des Angeklagten nicht mehr zufrieden, weil es mehrere Vorfälle gegeben habe, bei denen der Angeklagte seinen dienstlichen Pflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Er beschloss deshalb am 15. Mai 2009 – ohne vorherige Anhörung der Personalvertretung – die Ablehnung des Urlaubsantrages. Desweiteren hat das Landgericht in den Urteilsgründen Folgendes ausgeführt:

„Am 18. Mai 2009 fand von 7:00 bis 7:20 Uhr morgens eine Lagebesprechung beim Oberstleutnant S. im Kommandeurszimmer statt. Da der Zeuge S. den Angeklagten auf die Vorfälle ansprechen wollte, verblieb dieser im Dienstzimmer des Zeugen. Beide saßen an dem runden Tisch im Dienstzimmer und der Zeuge S. eröffnete dem Angeklagten, dass er mit seinen dienstlichen Leistungen nicht zufrieden sei. Auch teilte er ihm mit, dass er seinen Urlaubsantrag vom 12. Mai 2009 abgelehnt habe. Sodann erteilte er ihm noch den Auftrag, in einer Wehrbeschwerdeangelegenheit betreffend Oberfeldwebel E., Hauptmann B. und Oberfeldwebel H. drei Soldaten zu vernehmen und übergab ihm die Unterlagenmappe. Der Angeklagte, der, ob der Kränkung über seine Leistungen und des abgelehnten Antrages, den Tränen nahe, sich in diesem Zeitpunkt in einem Zustand eines für ihn nicht mehr völlig kontrollierbaren Affektdurchbruches im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung befand, legte sodann und den mit erhobener Stimme gesprochenen Worten ´Ich mache hier gar nichts mehr!´ die Unterlagen wieder auf den Tisch zurück, wandte sich ab und lief mit schnellem Schritt durch das Vorzimmer und den Gang entlang auf sein Dienstzimmer zu, ohne dass der Zeuge ein Verlassen des Dienstzimmers genehmigt hätte. Der Zeuge S., der über ein solches Verhalten seines Personaloffiziers völlig überrascht war, lief dem Angeklagten nach und rief ihm lautstark und mehrfach nach: ´Herr Oberleutnant, bleiben Sie stehen!´, ´Kommen Sie zurück!´ und ´So eine Unverschämtheit!´. Der Angeklagte, der die Aufforderung seines Dienstvorgesetzten stehenzubleiben zwar vernommen hatte, reagierte hierauf jedoch in keinster Weise, sondern lief einfach weiter, da er kein weiteres Gespräch mit seinem Kommandanten führen und nur noch in sein Dienstzimmer wollte, um alleine zu sein. Der Zeuge S., der sich in diesem Moment nicht mehr anders zu helfen wusste, rief dem Angeklagten dann noch das unter Offizieren völlig unübliche Kommando: ´Oberleutnant S., Achtung!´ hinterher. Auch hierauf reagierte der Angeklagte jedoch nicht, der dies in seinem Affektzustand nicht mehr bewusst wahrnahm. Vielmehr ging er ohne Reaktion weiter in sein Dienstzimmer und verschloss hinter sich die Tür.

(…) Der Angeklagte hat im Anschluss daran den zuvor erteilten Auftrag erfüllt und die drei Vernehmungen durchgeführt.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat teilweise Erfolg und führt aufgrund der erhobenen Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, weil die Überprüfung des Urteils im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine Befehlsverweigerung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG darin gesehen, dass der Angeklagte die für den Auftrag seines Vorgesetzten zur Vernehmung von drei Soldaten übergebenen Unterlagen mit den Worten „Ich mache hier gar nichts mehr!“ zurückreichte und sich ohne weitere Veranlassung entfernte. Soweit die Strafkammer jedoch darüber hinaus eine weitere – tateinheitlich begangene – Gehorsamsverweigerung bejaht hat, weil sich der Angeklagte gegen den Befehl seines Vorgesetzten, stehenzubleiben und zurückzukommen, verweigert habe, hält dies rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG macht sich strafbar, wer die Befolgung eines Befehls dadurch verweigert, dass er sich mit Wort oder Tat gegen ihn auflehnt. Ein lediglich passives Nichtbefolgen eines Befehls genügt nicht, um den Tatbestand zu erfüllen (BayObLG, Beschluss v. 18. Mai 1988 – RReg 4 St 76/88, zit. nach Juris; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 20 Rn. 5). Dass ein Soldat weiterläuft, dem befohlen wird, stehenzubleiben, stellt für sich genommen noch nicht notwendig eine Gehorsamsverweigerung dar; eine Auflehnung gegen den Befehl kann sich in solchen Fällen vielmehr erst aufgrund weiterer Umstände wie Gesichtsausdruck, Haltung oder Tonfall einer Äußerung ergeben (Schölz/Lingens, aaO.). Eine irgendwie geartete Reaktion des Angeklagten auf die Aufforderung seines Vorgesetzten, die eine Verweigerungshaltung zum Ausdruck brächte, lag nach den getroffenen Feststellungen jedoch nicht vor. Der Angeklagte hat den ihm erteilten Befehl schlicht nicht befolgt, seine ausgeübte Tätigkeit nicht unterbrochen und ist einfach weitergegangen. Ein darüber hinausgehendes demonstratives Verweigerungsverhalten liegt nicht vor, so dass der Straftatbestand diesbezüglich nicht erfüllt ist.

Dieser Rechtsfehler wirkt sich auf den Schuldspruch nicht aus. Allerdings kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat – im Hinblick auf die angenommene doppelte Tatbestandsverwirklichung konsequent – nicht erwogen, gemäß § 20 Abs. 2 WStG wegen tätiger Reue von Strafe abzusehen, sondern die rechtzeitige und freiwillige Nachholung der befohlenen Vernehmung der Soldaten lediglich als einen im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Umstand gewürdigt. § 20 Abs. 2 WStG gibt dem Gericht – angesichts der Besonderheit des einem Rücktritt gemäß § 24 StGB nicht zugänglichen Straftatbestandes der Gehorsamsverweigerung – die Möglichkeit, die ausgeübte tätige Reue entweder im Rahmen des zu Grunde zu legenden Strafrahmens zu berücksichtigen oder von Strafe abzusehen. Bei der Beurteilung dieser Wahlmöglichkeiten ist das gesamte Tatbild, die Bedeutung des Befehls, die Persönlichkeit des Täters und die Art der tätigen Reue zu würdigen (Schölz/Lingens, aaO. Rdnr. 8).

Ein Absehen von Strafe gemäß § 20 Abs. 2 WStG lag hier nahe und drängte sich geradezu auf, weil der Angeklagte sich nach der Bewertung der Strafkammer bei seiner Tat in einem affektiven Ausnahmezustand im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung befand, der zu einer erheblichen Minderung seiner Steuerungsfähigkeit führte (§ 21 StGB), und die Tathandlung darüber hinaus – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – „im unteren Bereich der denkbaren Gehorsamsverweigerungen“ anzusiedeln ist.

Das angefochtene Urteil unterliegt deshalb im Strafausspruch der Aufhebung. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, bleiben möglich.

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