Orientierungssatz
Auch die wiederholte leichte Verletzung von Dienstpflichten gefährdet die militärische Ordnung, wenn trotz zweimaliger Disziplinarmaßnahmen das Verhalten nicht geändert wird.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Der Streitwert wird auf 7.320,20 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen ihre fristlose Entlassung aus dem Dienstverhältnis als Soldatin auf Zeit.
Die Antragstellerin trat zum 01.11.2016 als ungediente Freiwillige in die Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes in die Bundeswehr ein. Am 25.11.2016 wurde sie in das Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit berufen. Ihre Dienstzeit wurde auf 8 Jahre festgesetzt.
Am 05.10.2018 unterließ sie es, nach erfolgter Krankschreibung ihren Krankenstatus ihrer Einheit zu melden. Sie handelte dabei entgegen einem ihr bekannten Befehl, der ihr wiederholt erteilt worden war. Ihr Kompaniechef verhängte hierfür unter dem 16.10.2018 eine Disziplinarmaßnahme in Form eines strengen Verweises. Diese Maßnahme ist seit 19.11.2018 unanfechtbar.
Am 05.12.2019, 06.12.2019, 09.12.2019, 10.12.2019 und 13.12.2019 erschien die Antragstellerin entgegen dem ihr bekannten Dienstplan nicht pünktlich zum Anwesenheitsappell um 6:50 Uhr. Am 27.01.2020 hat sie sich entgegen dem ihr bekannten Befehl nicht spätestens um 6:45 Uhr beim Unteroffizier vom Dienst gemeldet. In der gesamten Woche vom 13.01.2020 bis 18.01.2020 erschien sie nicht rechtzeitig zum Dienst. In der Zeit vom 13.01.2020 bis 17.01.2020 unterließ sie es entgegen dem ihr bekannten Befehl vom 11.10.2019, jeden Morgen die ausgehängten Dienstpläne auf Aktualität zu prüfen und gegebenenfalls neue auszuhängen. Hierfür verhängte ihr Kompaniechef unter dem 31.01.2020 eine Disziplinarbuße i.H.v. 1.000,00 €. Diese Maßnahme ist seit 03.03.2020 unanfechtbar.
Am 17.02.2020 trat die Antragstellerin wiederum ihren um 6:45 Uhr beginnenden Dienst verspätet an, nämlich erst um 7:18 Uhr. Den ihr erteilten Befehl, verspätetes Erscheinen dem Kompaniefeldwebel oder den Kompaniechef zu melden, befolgte sie nicht.
Am 03.03.2020 zu dem Vorfall vom 17.02.2020 befragt, gab die Antragstellerin an, ihren Wecker nicht gehört zu haben.
Im Rahmen ihrer Anhörung zu einer geplanten fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 Soldatengesetz gab die Antragstellerin am 17.04.2020 eine schriftliche Stellungnahme ab. Hierin gab sie an, dass ihre Arbeit nicht darunter leide und nie darunter gelitten habe. Ihre Aufträge und Anforderungen habe sie immer gewissenhaft und zur vollen Zufriedenheit Ihres Teileinheitsführers erledigt. Sie habe zurzeit psychische Probleme, die privat entstanden seien. Deshalb habe sie sich sehr hängen lassen, wodurch ihre Unpünktlichkeit entstanden sei. Die verhängte Disziplinarbuße habe ihr die Augen geöffnet. Sie habe gemerkt, dass sie etwas ändern müsse und das getan. Sie habe sich psychologische Hilfe geholt. Im Dienst habe sie sich verbessert. Sie sei motivierter. Sie wolle etwas ändern und bereue, wie sie gewesen sei. Ihr Dienst mache ihr Spaß, auch wenn es nicht immer so ausgesehen habe. Sie kommen immer gerne zum Dienst und arbeite mit Freude.
Die Antragstellerin erklärte sich mit einer fristlosen Entlassung nicht einverstanden.
Der nächste Disziplinarvorgesetzte der Antragstellerin beantragte am 20.04.2020 aufgrund von Dienstpflichtverletzungen die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 Soldatengesetz aus dem Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit. In seiner Stellungnahme vom selben Tag befürwortete er die fristlose Entlassung der Antragstellerin. Eine Besserung sei nicht erkennbar und die bisherige Disziplinierung nicht erfolgreich gewesen.
Die am 20.04.2020 angehörte Vertrauensperson befürwortete die fristlose Entlassung ebenfalls. Sie habe selbst mehrfach mit der Antragstellerin gesprochen und es falle ihr schwer, ihr noch Glauben zu schenken.
Mit Stellungnahme vom 29.04.2020 schloss sich der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte der Stellungnahme des nächsten Disziplinarvorgesetzten an und befürwortete die Entlassung der Antragstellerin nach § 55 Abs. 5 des Soldatengesetzes ausdrücklich und mit besonderem Nachdruck.
Mit Verfügung vom 09.07.2020, der Antragstellerin ausgehändigt am 17.07.2020, wurde die Antragstellerin mit Ablauf dieses Tages aus dem Dienst entlassen. Diese Entscheidung wurde darauf gestützt, dass die Antragstellerin ihre Dienstpflichten wiederholt schuldhaft verletzt habe. Dies habe die militärische Ordnung ernstlich gefährdet. Die von ihr an den Tag gelegte negativ verfestigte Haltung zu den soldatischen Pflichten offenbare einen gravierenden Mangel an Rechts- und Pflichtbewusstsein sowie an Zuverlässigkeit. Sie habe die Dienstpflichten wiederholt verletzt und sich auch von zwei Disziplinarmaßnahmen nicht beeindrucken lassen. Hieraus sei eine Wiederholungsgefahr zu erkennen. Bei einem Verbleiben im Dienst könne der Eindruck entstehen, dass fortgesetzte Disziplinlosigkeit ohne Folge für das Dienstverhältnis bliebe und somit vom Dienstherrn als Kavaliersdelikt angesehen und geduldet würde. Dies könne zur Nachahmung verleiten. Wesentliche entlastende Aspekte, die für ein Absehen von dieser Maßnahme sprechen könnten, seien nicht zu erkennen. Da zwei Disziplinarmaßnahmen erfolglos geblieben seien, sei auch für Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer fristlosen Entlassung kein Raum mehr.
Am 29.07.2020 legte die Antragstellerin Beschwerde gegen die Entlassungsverfügung ein.
Am 07.08.2020 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Die Entlassungsverfügung gehe von einem falschen Sachverhalt aus, weil von einem vorsätzlichen Handeln der Antragstellerin ausgegangen werde. Den vorliegenden Disziplinarmaßnahmen sei indes nicht zu entnehmen, ob die Antragstellerin fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt habe. Nach den Angaben der Antragstellerin zum Vorfall vom 17.02.2020 habe sie jedoch lediglich fahrlässig gehandelt, weil sie den Wecker überhört habe. Der Antragstellerin könne lediglich leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Im Rahmen der Einzelfallbetrachtung könne eine ernstliche Gefahr für die militärische Sicherheit und Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr nicht angenommen werden. Auswirkungen auf den Dienst seien nicht erkennbar. An den jeweiligen Tagen habe es sich nicht um besondere Dienste gehandelt, die ein unbedingt amtliches Erscheinen verlangt hätten, wie z.B. Wachdienste oder pünktliches Abrücken zu einer Übung. Es habe sich in den meisten Fällen nur um Verspätungen im einstelligen Minutenbereich gehandelt. Durch die bereits ergriffenen Disziplinarmaßnahmen sei die behauptete Nachahmungsgefahr nicht mehr gegeben.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 09.07.2020 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das wiederholte Missachten von Befehlen stehe aufgrund der bestandskräftigen Disziplinarmaßnahmen zweifelsfrei fest. Der Verstoß gegen die Gehorsamspflicht sei geeignet, die militärische Ordnung ernsthaft zu gefährden. Das Prinzip von Befehl und Gehorsam sei für jede Streitkraft von wesentlicher Bedeutung, da deren informationelle Funktionsfähigkeit, Effizienz und Schnelligkeit von der Gewissheit abhängig sei, dass Weisungen militärischer Vorgesetzter unverzüglich und vollständig umgesetzt würden. Die Gehorsamspflicht gehöre zum Kernbereich der militärischen Ordnung. Dabei komme es nicht auf die Schwere der Dienstpflichtverletzung an. Im Übrigen sei eine Wiederholungsgefahr anzunehmen, da die Antragstellerin sich von den verhängten Disziplinarmaßnahmen nicht habe beeindrucken lassen. Für die Bejahung einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung im Sinne von § 93 Abs. 1 des Soldatengesetzes spiele die Schuldform und die Schwere der Dienstpflichtverletzung ebenfalls keine Rolle.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Behördenvorgänge (Personalakte – 1 Ordner –, Entlassungsvorgang – 1 Hefter, Bl. 1-30 –, Beschwerdevorgang – 1 Hefter, Bl. 1-5 –), die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist gemäß § 82 Abs. 1 des Soldatengesetzes – SG – i.V.m. § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde statthaft und auch im Übrigen zulässig. Denn gemäß § 23 Abs. 6 der Wehrbeschwerdeordnung – WBO – kommt der Beschwerde, die nach § 23 Abs. 1 WBO an die Stelle des Widerspruchs (§ 68 VwGO) tritt, keine aufschiebende Wirkung zu.
Jedoch ist der Antrag unbegründet.
Nach § 23 Abs. 6 Satz 3 WBO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Beendigung eines Wehrdienstverhältnisses anordnen. Diese Anordnung erfolgt aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung des Gerichts. Danach ist ein Antrag begründet, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, die Vollziehung bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf hinauszuschieben, nicht überwiegt. Dies ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag bei gesetzlichem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung schon dann abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, da die gesetzgeberische Wertung ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes begründet. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts eine reine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich die fristlose Entlassung der Antragstellerin als offensichtlich rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die verfügte Entlassung der Antragstellerin ist § 55 Abs. 5 SG. Danach kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verfügung in formeller Hinsicht – insbesondere im Hinblick auf die gebotenen Anhörungen – sind weder geltend gemacht noch sonst zu erkennen.
Auch in materieller Hinsicht ist die Entlassungsverfügung rechtmäßig. Die Anwendungsvoraussetzungen für eine fristlose Entlassung der Antragstellerin nach § 55 Abs. 5 SG sind erfüllt und Ermessensfehler nicht zu erkennen.
Das Dienstverhältnis der Antragstellerin bestand weniger als vier Jahre.
Die Antragstellerin hat ihre Dienstpflichten wiederholt verletzt. Insgesamt hat sie nach erfolgter Krankschreibung ihren Krankenstatus nicht gemeldet, ist insgesamt zwölfmal verspätet zum Dienst erschienen und hat an fünf Tagen ihre Aufgabe der Kontrolle und Aktualisierung des Dienstplanaushangs nicht erfüllt. Das festgestellte unpünktliche Erscheinen zum Dienst und die Nichterfüllung einer dienstlichen Aufgabe begründet jeweils eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG. Ein Soldat verstößt gegen diese Pflicht bereits dann, wenn er seiner Anwesenheit- und Dienstpflicht während einer kurzen Zeitspanne nicht nachkommt (vgl. VG München, Urteil vom 24.04.2017 – M 21 K 16.292 –, juris Rn. 44). Hierin liegt jeweils zugleich ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht (§ 11 SG) und die allgemeine Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG).
Diese Dienstpflichtverletzungen beging die Antragstellerin auch schuldhaft. Eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung, ein Dienstpflichtvergehen im Sinne des § 23 SG, begeht ein Soldat dann, wenn der Dienstpflichtverstoß vorsätzlich oder zumindest fahrlässig erfolgt. Für eine fahrlässige begehen Weise genügt es, wenn nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt wird. Soweit die Antragstellerin sich für den Vorfall am 17.02.2020 explizit darauf beruft, sie sei verspätet zum Dienst erschienen, weil sie den Wecker nicht gehört habe, handelt es sich ersichtlich um fahrlässiges Verhalten. Insbesondere aufgrund der bereits zuvor erfolgten häufigen Verspätungen hätte sich die Antragstellerin um mehr Sicherungsmaßnahmen für ein pünktliches Erscheinen kümmern müssen, als schlicht einen Wecker zu stellen, der leicht zu überhören ist. Für die anderen Vorfälle des Zuspätkommens und der fehlenden Aushangkontrolle fehlt es an jeglichen Angaben der Antragstellerin, weshalb sie Ihren Pflichten nicht befehlsgemäß nachgekommen ist. Insofern ist von vorsätzlichem Verhalten auszugehen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es in der freien Willensentscheidung eines jeden liegt, sein Verhalten so einzurichten, dass er in der Lage ist, pünktlich an bestimmten Orten zu erscheinen und seine Aufgaben zu erledigen.
Diese schuldhaften Dienstpflichtverletzungen stellen auch eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung dar. Ob dies – hypothetisch für den Fall des Verbleibens im Dienst – zu bejahen ist, haben die Verwaltungsgerichte in einer (objektiv) nachträglichen Prognose (selbst) nachzuvollziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.07.2011 – 2 C 28.10, juris Rn. 10; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.09.2008 – 1 B 670/08, juris Rn. 44 f., und vom 20.01.2005 – 1 B 2009/04, juris Rn. 21 f., m. w. N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung ist regelmäßig zu bejahen, wenn die Pflichtverletzungen den militärischen Kernbereich betreffen, indem sie unmittelbar die Einsatzbereitschaft der Soldaten betreffen und im Gefolge dessen die Verteidigungsbereitschaft der Truppe, d.h. der einzelnen betroffenen Einheit bzw. letztlich auch der Bundeswehr im Ganzen, in Frage gestellt wird (vgl. VG Greifswald, Urteil vom 13.04.2017 – 6 A 2085/16 HGW –, juris Rn. 34). Dabei muss es sich orientierend an dem Normzweck des § 55 Abs. 5 SG und dem darin bereits im Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefahr verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht nur um leichtes Fehlverhalten ohne Einfluss auf die Einsatzbereitschaft handeln. Es soll gerade nicht jeder mit einem leichteren Fehlverhalten zwangsläufig einhergehende Verlust des „uneingeschränkten“ Vertrauens der Vorgesetzten in einen Soldaten zu einer Entlassung aus dem Dienstverhältnis führen können. Daher müssen bei leichterem Fehlverhalten, auch wenn es den Kernbereich betrifft – ebenso wie im Falle außerhalb des Kernbereichs anzusiedelnder Pflichtverletzungen – entweder eine Wiederholungsgefahr oder eine Nachahmungsgefahr hinzukommen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.01.2013 – 2 B 114.11 –, juris Rn. 11-13).
Dies hat die Antragsgegnerin zu Recht bejaht für den vorliegenden Fall, der wiederholten Missachtung von Befehlen auch nach Disziplinarmaßnahmen.
Dabei handelt es sich bei den von der Antragstellerin begangenen Pflichtverletzungen der Missachtung von Befehlen zwar um Pflichtverletzungen, die grundsätzlich den militärischen Kernbereich, die interne Funktionsfähigkeit und damit die Einsatzbereitschaft betreffen. Denn die interne Funktionsfähigkeit der Streitkräfte erfordert grundsätzlich die Einhaltung und Beachtung von Befehlen und die vollständige und pünktliche Leistung des Dienstes. Indes handelt es sich bei sämtlichen Vorfällen jeweils für sich betrachtet um leichtere Pflichtverletzungen. Denn eine Auswirkung der jeweiligen Verfehlungen auf die konkrete Einsatzbereitschaft der Einheit der Antragstellerin aufgrund der einzelnen Verfehlungen, ist weder dargetan noch sonst zu erkennen. Das Gericht kann hier dahinstehen lassen, ob auch bei leichteren Verfehlungen, wenn sich diese in erheblichem Umfang wiederholt haben – hier insgesamt 14 Vorfälle in einem Zeitraum von fünf Monaten –, eine Dienstpflichtverletzung zu erkennen ist, die den Schweregrad der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung erfüllt. Denn jedenfalls hat die Antragsgegnerin zutreffend die Prognose der Gefahr für die militärische Ordnung aufgrund einer Wiederholungsgefahr und einer Nachahmungsgefahr angenommen. So ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Antragstellerin trotz ihrer Beteuerung, sich bessern zu wollen, auch nach der Verhängung einer zweiten Disziplinarmaßnahme wiederum nicht nur unpünktlich zum Dienst erschien, sondern zudem die befohlene Meldung unterlies. Nachvollziehbare Gründe, weshalb daraus nicht die Prognose der Gefahr der Wiederholung von weiteren (leichten) Pflichtverstößen abzuleiten sein kann, hat die Antragstellerin weder im Beschwerdeverfahren noch im gerichtlichen Verfahren substantiiert vorgetragen. Ihre Angaben in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 17.02.2020, sie wolle ihr Leben ändern und habe sich Hilfe gesucht, bleiben vage. Angesichts der Häufung der Vorfälle und der den Stellungnahmen der Vertrauensperson und der Disziplinarvorgesetzen zu entnehmenden Angaben, dass die Antragstellerin zuvor bereits wiederholt Besserung gelobt hatte, ohne dieses Versprechen halten zu können, vermag eine erneute schlichte Versicherung, das Verhalten ändern zu wollen, nicht zu überzeugen.
Zutreffend hat die Antragsgegnerin auch eine Nachahmungsgefahr erkannt. Indem die Pflichtverletzungen die Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben erfassen, ist davon auszugehen, dass diese jeweils auch den Kameradinnen und Kameraden bekannt sind. Angesichts der Häufigkeit der Verfehlungen ist es nachvollziehbar, dass es im weiteren Wiederholungsfall nicht genügt, erneut eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen, insbesondere, weil keine Umstände erkennbar sind, die eine Änderung der den Pflichtverletzungen zugrundeliegenden Verhältnisse erkennen lassen.
Die Entlassung ist, soweit dem Gericht die Prüfungskompetenz zukommt (§ 114 VwGO), auch nicht ermessensfehlerhaft.
Zwar stellt § 55 Abs. 5 SG seinem Wortlaut nach eine Ermessensvorschrift dar („kann“). Das Gesetz hat die Ermessensentscheidung der Behörde aber im Sinne einer „intendierten Entscheidung“ vorgezeichnet. Das bedeutet, dass bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen die Entlassung grundsätzlich (d.h. vorbehaltlich des Vorliegens einer atypischen Konstellation) wie bei einer gebundenen Entscheidung vorgegeben ist (Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.08.2012 – 1 A 2084/07 –, juris Rn. 57f m.w.N.). Die Behörde ist nicht verpflichtet, ähnlich wie im Disziplinarverfahren, alle für und gegen den Verbleib im Dienst sprechenden Umstände zusammenzutragen, zu gewichten und abzuwägen. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Frage der Angemessenheit der Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck in der Art einer Vorabbewertung im Wesentlichen bereits auf der Tatbestandsebene des § 55 Abs. 5 SG selbst konkretisiert. Demgemäß ist die Befugnis der zuständigen Behörde, bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift von einer fristlosen Entlassung abzusehen, im Sinne einer sog. „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle beschränkt, und zwar auf solche, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen hat bzw. einbeziehen konnte, weil sie beispielsweise gerade den jeweils in Rede stehenden Fall völlig „atypisch“ prägen. In Konsequenz dessen gibt es auch keine generelle Verpflichtung der Behörde, in jedem einzelnen Falle im Rahmen der Begründung der Entlassungsverfügung bzw. des Beschwerdebescheides (zusätzliche) Ermessenserwägungen anzustellen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.08.2012 – 1 A 2084/07 –, juris Rn. 143).
Anhaltpunkte für das Vorliegen atypischer Umstände hat die Antragsgegnerin zutreffend verneint, indem sie feststellt, dass sich keine wesentlichen entlastenden Aspekte ergeben hätten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG –. Die Bedeutung der Sache im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG ist dabei in Anlehnung an § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GKG in Höhe des hälftigen Jahreseinkommens zu bestimmen. Dabei ist als kalenderjährliches Einkommen gemäß der Mitteilung der Antragsgegnerin für 2020 ein Betrag von 29.280,80 € zugrunde zu legen. Der hälftige Betrag in Höhe von 14.640,40 € ist unter Berücksichtigung von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, Anh § 164 Rn. 14 ff) angesichts des Charakters als vorläufiges Verfahren erneut zu halbieren, woraus sich der Betrag von 7.320,20 € errechnet.
Quelle: Justiz Hessen – VG Kassel – Urt. v. 14.09.2020 – 1 L 1488/20.KS